Mobilitätswende auch in Bielefeld – die aktuelle Umgestaltung des Jahnplatzes

Ausgangspunkt waren Überlegungen zur Reduzierung der Stickoxid-Belastung in der Innenstadt mit dem Zentrum Jahnplatz (schon im Mai 2017), es folgte ein Ratsbeschluss zur Umgestaltung (im Juni 2018), wozu auch ein optimiertes Verkehrskonzept für die umliegenden Zufahrts-Straßen gehört: „Im Vordergrund steht das Ziel einer Erhöhung der Aufenthaltsqualität des Platzes insbesondere für den Fußgängerverkehr mit dem perspektivischen Ziel einer möglichst emissionsfreien Innenstadt.“ (Ratsbeschluss  2018)

Eines der Ziele dabei ist, den Anteil des Radverkehrs bei den alltäglichen Verkehrswegen („modal split“) von ca 18% (in D’dorf derzeit ca 12%) deutlich zu erhöhen – Zielmarke ist Münster mit ca 37%. In den Planungsprozess wurden auch interessierte Bürger miteinbezogen. (Bildquelle Stadt Bielefeld, die  digitale Visualisierung hier).


Kritik der E-Mobilität
Winfried Wolf  im Gespräch mit der Dramaturgin Janine Ortiz
W. Wolf ist ist promovierter Politikwissenschaftler, Autor und Journalist, vielen bekannt durch sein Buch „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse“  (3/2019).

J. Ortiz ist Dramaturgin am Schauspielhaus D’dorf, sie führte das Interview anlässlich des aktuellen Theaterstücks „Volksfeind for Future“, das wg. Corona erst 2021 aufgeführt werden kann.

Elektroautos haben ein »grünes Image«. Warum stellen sie dennoch keine Lösung für die Umwelt- und Verkehrsprobleme dar, die wir heute haben?

Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Herstellung. Jedes Elektroauto emittiert im Zuge seiner Fertigung fünf bis sieben Tonnen mehr CO2 als ein vergleichbarer Pkw mit Verbrennungsmotor – das hängt vor allem mit der energieaufwändigen Produktion der Batterien zusammen. Dieser »ökologische Rucksack« muss erstmal abgefahren werden, bevor die theoretischen Vorteile eines Elektroautos zur Anwendung kommen können. Das wären bei einem kleinen Modell wie dem Renault Zoe etwa 40.000 km, beim Tesla S rund 120.000 km. Hier in den »grünen Bereich« zu kommen, ist fast nicht zu schaffen. Hinzu kommen Rohstoffprobleme. Der Abbau von Lithium verbraucht Unmengen an Wasser, und das in Ländern der Dritten Welt, wo nicht selten Wassermangel herrscht. Der Abbau von Kobalt ist mit Kinderarbeit und Kriegen verbunden. Das scheint mir keine Alternative zu unserer aktuellen Abhängigkeit vom Erdöl zu sein.

Warum sind Elektroautos meist Zweit- oder sogar Drittwagen?

Wir nennen das den Rebound- oder Bumerang-Effekt. Damit ist gemeint, dass ein Elektroauto in der Regel den Benziner oder Diesel nicht ersetzt und man fortan alle Fahrten damit durchführt, sondern dass das Elektroauto aufgrund seiner geringen Reichweite, der langen Ladedauer, der komplizierten Art zu tanken und des höheren Preises wegen dazu verleitet, es als Zweitwagen anzuschaffen. Längere Fahrten werden mit dem normalen Pkw durchgeführt, das Elektroauto vorwiegend dort genutzt, wo genügend Elektrotanksäulen vorhanden sind, also in der Stadt. […]

Woher kommt eigentlich der Strom für die Elektroautos?
Komischerweise denken die Menschen bei Elektroautos immer: »Wir tanken Ökostrom.« Das ist aber nicht der Fall. Unser Strommix besteht zu etwa 40 % aus fossilen Energieträgern, also Kohle und Erdgas. Wenn der Atomausstieg gelingen und das letzte deutsche Kernkraftwerk 2022 abgeschaltet werden soll, muss die regenerative Stromproduktion entsprechend hochgefahren werden. D. h. Windkraft, Photovoltaik und Biogas müssen die aktuell 13 % Atomstrom komplett ersetzen, was schon ausgesprochen sportlich ist. Dann haben wir aber immer noch rund 40 % fossilen Strom in Deutschland. […]
(Das ganze Interview findet man  auf der Seite des Düsseldorfer Schauspielhauses zur sehenswerten Aufführung „Volksfeind for Future“.)

Umfrage des ADAC: Verkehrsflächen zugunsten von Fußgängern und Fahrradfahrern neu verteilen!
Nach einer Online-Befragung unter 2000 Großstadtbewohnern (durchgeführt im September 2019, vor Corona!) stimmt eine große Mehrheit (42 %) dafür, Verkehrsflächen in der eigenen Stadt zugunsten von Fußgängern und Fahrradfahrern neu zu verteilen. Dafür sollen besonders der ÖPNV (von 35%) und der Fahrradverkehr (von 19%) gefördert werden, auch Fußgänger (von 12%) noch vor Autos im fließenden Verkehr (von 11% der Befragten). Den höchsten Stellenwert  bei der Verkehrsplanung sollen „attraktive Aufenthaltsflächen, z.B. Sitzgelegenheiten, Plätze, Spiel- und Grünflächen“ erhalten. Der ADAC entwickelt vor diesem Hintergrund überraschenderweise folgende
Handlungsoptionen bei Flächenknappheit im Verkehr“:
  • An Hauptverkehrsstraßen sollen „ausreichend breite Radverkehrsanlagen“ geschaffen werden, und zwar „auf Kosten des Kfz-Verkehrs“, wenn „mehrere“ Richtungsfahrspuren vorhanden sind.
  • Die „Umwandlung von Parkstreifen in Radfahrstreifen“ wird befürwortet, wenn „bezahlbare Ausweichstellplätze für Bewohner und Besucher im nahen Umfeld bereitgestellt werden“.
  • Für solche Maßnahmen sollen Betroffene und „gesellschaftlichen Gruppen“ beteiligt werden.

(Alle Zitate und dargestellten Inhalte sind der PDF-Broschüre zum Expertendialog entnommen, die auf der Webseite des ADFC   kostenlos heruntergeladen werden kann.)